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FAQ: Ist Supplemente nehmen nicht unnatürlich?

07.03.2021
Lesezeit: ~4 Minuten (892 Wörter)

Ein Totschlagargument, das oft in Gesprächen vorgebracht wird, ist der Hinweis auf die Unnatürlichkeit der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln. Es wird darauf verwiesen, dass wir uns möglichst „natürlich“ ernähren sollten, ohne auf „künstliche“, „chemische“ „Pillen“ angewiesen sein zu müssen.

Man kann bei diesem Argument zwei getrennte Stränge herauslösen:

  • (p1) Eine natürliche Ernährung ist eine gesunde Ernährung
  • (p2) Chemie ist unnatürlich
  • (p3) Vegane Ernährung kommt nicht ohne Chemie aus
  • (c1) Eine natürliche Ernährung vermeidet „Chemie“, aber
  • (c2) eine vegane Ernährung kommt nicht ohne Chemie aus und ist daher unnatürlich und ungesund

Logisch lässt sich an diesem Argument wenig aussetzen, die Grundvoraussetzungen, die gemacht werden, sind hier das Interessante.

Natur und Schönheit

Zu (p1): Zunächst wollen wir uns ansehen, was mit „natürlich“ gemeint sein kann. „Natürlich“ ist fast ausschließlich positiv konnotiert, meint im normalen Sprachgebrauch oft „unbehandelt“, „biologisch“ und wird mit Frische, Sauberkeit und Reinheit in Beziehung gesetzt. Und „natürlich“ meint vor allem auch: der Natur gemäß – was der Natur gemäß ist, was ihr entspricht, ist ihr zuträglich und daher auch „gesund“.

Es verwundert nicht, dass Gesundheit ebenfalls durchweg positiv konnotiert ist. Gesundheit ist „schön“, „rein“, „jung“, „leistungsfähig“ uVm. Es mag zutreffen, dass gesunde Menschen, Tiere und Pflanzen – denn „Gesundheit“ wird richtig nur auf Biologisches angewendet – leistungsfähig sind. Leistungsfähig meint hier, die Fähigkeiten, das, was in der Biologie angelegt ist, voll auszuführen, also voll aus den eigenen biologischen Ressourcen schöpfen zu können.

Die anderen Assoziationen aber sind schwerer nachzuvollziehen. „Schönheit“ liegt bekanntlich im Auge des Betrachters und von „Reinheit“ kann bei Lebewesen auch schlecht die Rede sein – unsere Körper gleichen eher Chemiefabriken, denn reinem Quellwasser. Gesunde Menschen können durchaus auch alt, hässlich und ungewaschen sein. Beliebige andere Verknüpfungen sind denkbar: leistungsfähig mit hässlich, jung mit ungesund, schön mit unrein etc. pp.

Es ist also leicht zu sehen, dass die gedanklichen Verknüpfungen, die wir mit Natur und Gesundheit haben, nicht notwendig aus einander folgen und nicht „in der Natur der Sache“ zu finden sind.

Die Assoziationen haben ihre eigenen Unzulänglichkeiten – es leuchtet jedoch ein, warum sich die Werbung so darauf stürzt und diese beiden Begriffe „Natur“ und „Gesundheit“ oft parallelisiert, wie z.B. hier: „An meine Haut lasse ich nur Wasser und CD“.

Chemie contra Natur

Chemische Stoffe werden oft als „künstlich“, „schädlich“, „giftig“, „ungesund“, aber auch als „rein“ im Sinne von „konzentriert“, und „gefährlich“ wahrgenommen. Wollte man neutral bei der Sache bleiben, müsste man darunter „naturwissenschaftliche Disziplin“ verstehen. „Chemie“ erleidet ein ganz anderes Schicksal als „Natur“ und „Gesundheit“, sie wird fast ausschließlich negativ konnotiert. Es wäre aus kulturanthropologischer Sicht sicherlich interessant, diesen begrifflichen Gegensatzpaaren nachzugehen.

So verwundert es nicht, wenn der Supplementekonsum bei der veganen Mangelernährung als unnatürlich charakterisiert wird, zumal die vegane Ernährung ganz offensichtlich nicht in der Lage zu sein scheint, den Menschen mit allen notwenigen Nährstoffen auf natürliche Weise zu versorgen.

Doch nicht alles, was natürlichen Ursprungs ist, ist automatisch gesund und nicht alles, was chemisch ist, ist automatisch ungesund. Eines der stärkste Gift der Welt –  Botulinumtoxin - zum Beispiel ist natürlich Ursprungs und wird von Bakterien beim Verrotten meist tierischer Lebensmittel gebildet. Und die meisten natürlichen Stoffe lassen sich ohnehin im Labor nachbauen. Alles ist Chemie, egal ob der Stoff in Lebewesen gebildet wird, oder wir ihn in Fabriken nachbauen. Der Körper unterscheidet nicht zwischen einem Vitamin C ( Ascorbinsäure) aus einer Paprika und einem Vitamin C aus dem Reagenzglas.

Närstoffversorgung

Dennoch kann eine Ernährung nicht nur aus Vitaminpräparaten bestehen – die in unverarbeiteten Lebensmitteln vorkommenden Vitamine sind in eine Nährstoffmatrix eingebunden, mit allerlei anderen chemischen Substanzen, die die Aufnahme erhöhen, die Verträglichkeit verbessern usw., doch darum geht es hier nicht. Dass eine vegane Ernährung geplant sein muss, wie jede andere Ernährungsform auch, steht außer Frage und es gibt durchaus kritische Nährstoffe – bei Veganern, wie auch Mischköstlern - auf die besondern geachtet werden muss, oder die, wie im Falle von Vitamin B12, komplett supplememtiert werden müssen, weil sie kaum oder gar nicht in rein pflanzlicher Ernährung vorkommen. Das gleiche sei auch den Mischköstlern angeraten, denn auch sie können unterversorgt sein.

Zu den potentiell kritischen Nährstoffen bei der veganen Ernährung zählen: Vitamin B12 und B2, Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren, Jod, Selen, Zink, Eisen, Calcium und Protein.

Doch der einzige dieser Stoffe, der tatsächlich zugeführt werden muss, ist B12 – ich gehe darauf später genauer ein. Die andere Nährstoffe können problemlos über die Nahrung gedeckt werden, wenn man weiß, wo sie zu finden sind. Hier muss aber angemerkt werden, dass viele der oben genannten Stoffe auch bei Mischköstlern kritisch sein können. Wie ließen sich anders die endlosen Regalmeter von Vitaminpillen in der Drogerie erklären, die es ja nicht erst seit den ~1-2% Veganern in Deutschland gibt.

So zählen laut DGE z.B. Vitamin B2, Vitamin D, Jod und Calcium bei jugendlichen Veganern, Vegetariern und Mischköstlern gleichermaßen zu den kritischen Nährstoffen, Selen kann man getrost dazu zählen.

Ich gehe auf einige der Nährstoffe in späteren Artikel in der Kategorie Ernährung genauer ein, daher sei hier nur festgehalten: Die Art der Ernährung ist per se keine Garantie dafür, keine Mängel an Nährstoffen zu entwickeln. Oft wird jedoch der unfaire Vergleich gemachte zwischen mischköstlichen „Health-Nuts“ und „Puddingveganern“. Dabei müsste man eher gesundheitsbewusste Menschen untereinander und nicht-gesundheitsbewusste Menschen (egal ob Mischköstler oder Veganer) vergleichen. Man kann sich in allen Ernährungsformen extrem gut und auch extrem schlecht ernähren, eine gute Ernährung braucht immer ein gewissen Maß an Planung und auch Auseinandersetzung mit der Nahrung.